Integrierte Medizinisch-Berufsorientierte Orthopädische Rehabilitation (IMBO-Rehabilitation)
Paracelsus-Klinik an der Gande, Bad Gandersheim, Orthopädische Fachklinik mit dem Institut für Arbeits- und Sozialmedizin
Indikation
Orthopädie
Ziele
Die Maßnahme hat die folgenden Punkte zum Ziel:
- Erfassen von Patienten und Patientinnen mit besonderen beruflichen Problemlagen (BBPL) über das Screening der Deutschen Rentenversicherung Bund (SIMBO C)
- Umsetzung eines intensivierten multimodalen berufsorientierten Rehabilitationsgruppenprogramms mit kognitiv-behavioralem Ansatz
- verbesserte Bewältigung gesundheitsbedingter Einschränkungen der Berufsausübung und berufsbezogener Anforderungen durch Stärkung der psychosozialen und körperlichen Kompetenzen
- ggf. zusätzliche sozial- und arbeitsmedizinische Begutachtung und Beratung im Institut für Arbeits- und Sozialmedizin sowie Berufsklärung unter Beteiligung des Reha-Fachberaters
Inhalte und Ablauf
Die Integrierte Medizinisch-Berufsorientierte Orthopädische Rehabilitation (IMBO-Rehabilitation) ist ein berufsorientiertes Gruppenprogramm für geschlossene Gruppen mit jeweils zehn bis zwölf Teilnehmenden. Patienten und Patientinnen mit einer besonderen beruflichen Problemlage werden dazu mit dem Reha-Antrag über das Screening SIMBO C identifiziert und zugewiesen. Die IMBO-Rehabilitation umfasst sieben zentrale Module: Ein Modul, das zur Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit motivieren soll und sozialrechtliche Beratung bietet („Beruf und Gesundheit“), ein Modul zur Veränderung arbeitsbezogener Einstellungen und zur Verbesserung des beruflichen Bewältigungsverhaltens („Berufliche Kompetenzgruppe“), zwei trainingstherapeutische Module („Bewegungskompetenzgruppe“, „Aquatraining“), ein funktionelles Training, das an die EFL von Isernhagen angelehnt ist („Berufsbezogene funktionelle Trainingsgruppe“), ein Modul, das die Progressive Muskelrelaxation vermittelt („Entspannungstraining“) und ein Modul zur gesundheitsbezogenen Edukation (Schmerz & Stress). Die einzelnen Module wurden, um eine standardisierte Durchführung zu gewährleisten, in einem Klinikmanual zusammengefasst. Ähnlich wie in der verhaltensmedizinischen Orthopädie (VMO) erhalten im IMBO-Programm alle Patienten sowohl ein ärztliches wie auch ein psychologisches Aufnahme- und Abschlussgespräch. Weitere bedarfsorientierte Maßnahmen erfolgen individuell (Bogenschießen, Einzel-Physiotherapie u.a. nach ärztlicher Verordnung, weitere psychologische Diagnostik und Therapie (Einzelgespräche, Umgang mit Schmerzen) erfolgt auf Basis der klinikinternen psychologischen Stufendiagnostik. Der Ablauf des Programms ist in Abbildung 1 dargestellt.
Der Ablauf der Maßnahme ist in Abbildung 1 zusammenfassend dargestellt (Anklicken zum vergrößern).
Abbildung 1: Ablauf der IMBO-Rehabilitation in der Paracelsus-Klinik an der Gande, Bad Gandersheim
Die Strukturmerkmale der IMBO-Rehabilitation zeigt Tabelle 1.
Tabelle 1: Die Strukturmerkmale der IMBO-Rehabilitation zeigt Tabelle 1.
Ein verstärkter Arbeits- und Berufsbezug wird insbesondere in den folgenden Modulen realisiert:
- Beruf und Gesundheit: Das Modul „Beruf und Gesundheit“ führt die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in das Programm ein und stellt ihnen den multimodalen kognitiv-behavioralen Ansatz des Programms vor. Ziel der ersten Sitzung ist es, den Teilnehmenden zu vermitteln, dass die Bewältigung der von ihnen erlebten beruflichen Schwierigkeiten erlernbar ist und die Programmmodule in diesem Sinne Hilfe zur Selbsthilfe leisten sollen. Zunächst werden die Bedeutung von Arbeit als persönliche und gesundheitliche Ressource und mögliche negative Folgen längerer Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit erarbeitet. Mögliche negative Beanspruchungsreaktionen werden am Beispiel des Gratifikationskrisenmodells erläutert. In der zweiten Sitzung erhalten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einen Überblick über die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen von Rehabilitation und beruflicher Wiedereingliederung, um realistische Veränderungsziele zu entwickeln.
- Berufliche Kompetenzgruppe: Das Modul „Berufliche Kompetenzgruppe“ soll den Teilnehmenden durch eine Neubewertung ihrer Arbeitsplatzsituation und möglicher Konflikte am Arbeitsplatz sowie eine Erweiterung ihrer sozialen Kompetenzen eine verbesserte Bewältigung beruflicher Belastungssituationen ermöglichen. Ausgangspunkt der ersten Sitzung ist eine von den Teilnehmenden vorbereitete Beschreibung ihrer Arbeitsplatzsituation und ihrer Veränderungsziele. Anschließend wird den Teilnehmern und Teilnehmerinnen ein Erklärungsmodell für die Entstehung von Stresssymptomen dargestellt und das Modell der Stresskompetenz (mental, instrumentell, regenerativ). In der zweiten Sitzung nehmen die Teilnehmer eine persönliche Bilanz ihrer aktuellen Lebenssituation (Stressoren versus Ressourcen) vor, in Kleingruppen erfolgt ein Kennenlernen und Vorstellen zwecks sozialer Vergleichsprozesse und dem Bahnen sozialer Unterstützung. Die dritte Sitzung dient dem Erkennen und Bearbeiten eigener stressverstärkender Einstellungen. Die Teilnehmenden sollen lernen, dass bestimmte Einstellungen, z. B. immer perfekt sein zu müssen, irrational sind und damit zu Auslösern von Überforderungs- wie Konfliktsituationen werden können. Zur weiteren Analyse solcher Konfliktsituationen wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern das ABC-Modell der Rational-emotiven Verhaltenstherapie vermittelt. Die vierte Sitzung erweitert das ABC-Modell um den Aspekt kognitiver Veränderungsmöglichkeiten. Die Teilnehmenden modifizieren ihre identifizierten Denkmuster hin zu angemessenen und zielorientierten Bewertungen. Die fünfte Sitzung thematisiert Verhaltensstrategien im Umgang mit beruflichen Belastungen. Dazu werden Rollenspiele zu beruflichen Belastungssituationen durchgeführt. Damit werden die Teilnehmenden für Strategien des Forderns und Abgrenzens sensibilisiert. Die sechste Sitzung thematisiert die Bedeutung des Ausbaus von Ressourcen. Angelehnt an gesundheitspsychologische Modelle werden konkrete ressourcenorientierte Verhaltensweisen detailliert geplant, inklusive potentieller Barrieren und deren Überwindung. Im paarweisen Interview werden die Vorhaben reflektiert. Abschließend werden typische Barrieren ressourcenorientierten Verhaltens in der Gesamtgruppe thematisiert und deren Überwindungsmöglichkeiten erarbeitet. Die Teilnehmenden erhalten eine strukturierte Arbeitsmappe zum Kurs.
- Berufsbezogene funktionelle Trainingsgruppe: Das zentrale Element der „Berufsbezogenen funktionellen Trainingsgruppe“ ist ein Parcourstraining, in dem an sieben Arbeitsstationen (Heben Boden/Taille, Heben Taille/Kopf, Schieben/Ziehen, Tragen horizontal, Schrauben über Kopf, Modell-PC-Arbeitsplatz, Patiententransfer), die an die EFL von Isernhagen angelehnt sind, sichere Bewegungsabläufe trainiert und die relevanten Muskelgruppen gekräftigt werden.
- Edukation zu Stress (Stress am Arbeitsplatz und Burnout): ergänzend zu den Grundlagen zum Thema Stress werden in einem weiteren Vortrag typische Stressoren des Arbeitslebens (Leistungs-, Beziehungs-, Emotionale Stressoren, Gratifikationskrisen) dargestellt. Darüber hinaus wird erklärt, wie Burnouterleben entsteht und wie man sich davor schützen kann.
Die beschriebenen Inhalte der einzelnen Module sind in Tabelle 2 überblicksartig zusammengefasst.
Tabelle 2: Überblick zu Inhalten der IMBO-Rehabilitation
Ergänzung finden die sieben Programmmodule durch weitere, vor allem trainingstherapeutische Leistungen und Schulungsangebote, wie sie durch die Therapiestandards für die Rehabilitation bei chronischem Rückenaschmerz beschrieben werden. Die Notwendigkeit von Angeboten zum Schmerz im Rahmen von MBOR wurde in einer neuen Studie belegt. Der gesamte Leistungsumfang während des dreiwöchigen Rehabilitationsaufenthalts beträgt rund 80 Stunden. Um einen ganzheitlichen Rehabilitationsprozess zu gewährleisten, wird die Arbeit in wöchentlichen Fallbesprechungen aufeinander abgestimmt. Bei stark beeinträchtigten Rehabilitanden und Rehabilitandinnen besteht zudem die Möglichkeit einer zusätzlichen arbeitsmedizinischen Begutachtung und Beratung im Institut für Arbeits- und Sozialmedizin. Bei Bedarf kann diese Beratung um eine erweiterte Verhaltensbeobachtung zur Leistungsbeurteilung und/oder eine Berufsklärung unter Beteiligung des Reha-Fachberaters ergänzt werden.
Die Wirksamkeit der IMBO-Rehabilitation wurde in einer clusterrandomisierten Studie überprüft und bestätigt. Teilnehmende der IMBO-Rehabilitation hatten nach 6 Monaten eine 2,4mal und nach 12 Monaten eine 1,9mal höhere Chance einer erfolgreichen beruflichen Wiedereingliederung als Teilnehmer der herkömmlichen orthopädischen Rehabilitation. IMBO-Teilnehmer und -Teilnehmerinnen hatten zudem günstigere Verläufe hinsichtlich Depression und Angst, psychischer und physischer Lebensqualität sowie der Schmerzbewältigung.
Zielgruppe
Die Maßnahme richtet sich an Rehabilitanden und Rehabilitandinnen mit muskuloskelettalen Erkrankungen und besonderer beruflicher Problemlage (BBPL). Eine besondere berufliche Problemlage haben Versicherte mit problematischen sozialmedizinischen Verläufen, z. B. mit langen oder häufigen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit; langen, sich abwechselnden Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit sowie Versicherte mit einer negativen subjektiven beruflichen Prognose, auch mit Rentenbegehren, verbunden mit der Sorge, den Anforderungen des Arbeitsplatz nicht gerecht werden zu können.
Beteiligte Berufsgruppen und Ausstattung
Arzt; Diplom-Psychologe; Diplom-Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagoge; Physiotherapeut mit EFL-Fortbildung; Diplom-Sportlehrer bzw. Sportwissenschaftler. Benötigte Ausstattung: Trainingsmodule des EFL-Systems. Bestehende Kooperationen mit einem Berufsförderungswerk oder einer Berufsbildungseinrichtung sind sinnvoll.
Literatur
- Bethge M. & Trowitzsch L. (2009). Berufsbezogenes funktionelles Training in der Rehabilitation bei muskuloskelettalen Erkankungen. In A. Hillert, W. Müller-Fahrnow & F.M. Radoschewski (Hrsg.), Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation. Grundlagen und klinische Praxis (S. 163-168). Köln: Deutscher Ärzte-Verlag.
- Bethge, M., Herbold, D., Trowitzsch, L. & Jacobi, C. (2010). Berufliche Wiedereingliederung nach einer medizinisch-beruflich orientierten orthopädischen Rehabilitation: Eine clusterrandomisierte Studie. Die Rehabilitation, 49, 2-12.
- Küch, D., Fischer, D., Zech, M., Buchfink, L., Frey, K., Kimmer, K., Roßband, H. & Morfeld, M. (2013). BUSKO – Beruf und Stresskompetenz. Berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation (MBOR). Praxis Klinische Verhaltensmedizin & Rehabilitation, 26, 71-86.
- Küch, D., Stenzel, S., Herbold, D., Hentschel, A, Stiefenhofer, C., Baum, M. & Franke G.H. (2014). Eignung des DASS (Depression Anxiety Stress Scales) als psychosoziales Screening in der orthopädischen Rehabilitation. 23. Reha-Wissenschaftliches Kolloquium, Karlsruhe, März 2014. DRV-Schriften, 103, 145-148.
- Trowitzsch, L., Schiller, W., Lindner, S. & Thiele, D.A. (2006). „Who returns to work?“. 2-Jahresergebnisse nach berufsorientierenden Maßnahmen im BFW Goslar (1998-2001). Neue Konzeption von MBOR in den drei Paracelsus-Kliniken Bad Gandersheim. In W. Müller-Fahrnow, T. Hansmeier & M. Karoff (Hrsg.), Wissenschaftliche Grundlagen der medizinischen Rehabilitation (S. 428-436). Lengerich: Pabst.
Ansprechpartner
Ansprechpartner Dr. med. Désirée Herbold, Chefärztin
Paracelsus-Klinik an der Gande
Dr.-Heinrich-Jasper-Str. 4
37581 Bad Gandersheim
dr.desiree.herbold@paracelsus-kliniken.de
Dr. Dieter Küch, Leitender Psychologe
Paracelsus-Klinik an der Gande
Dr.-Heinrich-Jasper-Str. 4
37581 Bad Gandersheim
dieter.kuech@paracelsus-kliniken.de
Prof. Dr. phil. Dipl.-Päd. (Rehab.) Matthias Bethge
Universität zu Lübeck
Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie
Sektion Rehabilitation und Arbeit
Ratzeburger Allee, Haus 50
23538 Lübeck
matthias.bethge@uksh.de