Intensivierte medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR)
RehaKlinikum Bad Säckingen GmbH, Bad Säckingen
Indikation
Orthopädie, Rheumatologie
Ziele
Für Patienten mit besonderer beruflicher Problemlage (BBPL) wird am RehaKlinikum Bad Säckingen eine intensivierte medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation angeboten. Als BBPL gelten in diesem Kontext sowohl lange oder häufige Arbeitsunfähigkeitszeiten als auch eine negative subjektive berufliche Prognose, die mit der Sorge einhergeht, den Arbeitsplatzanforderungen in der Zukunft nicht mehr gerecht werden zu können. Auch die Absicht, einen Rentenantrag zu stellen, ist als Hinweis auf eine BBPL zu werten. Wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist die Verbesserung der beruflichen Integration durch den Einbezug des Arbeitgebers (z. B. telefonische Kontakte) in Veränderungsprozesse, denn häufig sind geringfügige Modifikationen am Arbeitsplatz (z. B. Verwendung von Hilfsmitteln) wesentlich, um die Teilhabe des Versicherten zu verbessern. Die Kontaktaufnahme zum Arbeitgeber wird nur mit Zustimmung des Versicherten umgesetzt. Im Rahmen eines telefonisch durchgeführten Case Managements im Anschluss an die Rehamaßnahme wird geprüft, ob weitere Unterstützungs- oder Informationsangebote notwendig sind. Die interdisziplinär durchgeführte Maßnahme findet in einer halboffenen Gruppe statt. Aufbauend auf einer berufsspezifischen Diagnostik sind alle Behandlungsbausteine auf die spezifische, individuelle berufliche Problemlage des Rehabilitanden ausgerichtet, z. B. berufsspezifische Physio-, Ergo und Sporttherapie (Belastungserprobung mittels EFL, Arbeitsplatztraining, Arbeitsmedizinische Trainingstherapie) und berufsbezogene psychoedukative Patientenschulungen.
Inhalte und Ablauf
Berufsbezogene Diagnostik
Neben der medizinischen Eingangsdiagnostik und der vertiefenden Psychodiagnostik bei individuellem Bedarf mittels Beck-Depressions-Inventar (BDI), Befindlichkeitsskala (BfS), Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI) und/oder Symptom Check List (SCL 90-R) findet auf der Grundlage und unter Einbezug der Screening-Ergebnisse aus dem IRES, dem Würzburger Screening und der SPE-Skala (Subjektive Erwerbsprognose) eine ausführliche berufsbezogene Diagnostik statt.
Als Verfahren zur Einschätzung beruflicher Leistungsfähigkeit wird die „Evaluation funktioneller Leistungsfähigkeit“ (EFL) durchgeführt. Diese Form der Belastungserprobung wird von einem EFL-geschulten Physio-/Ergotherapeuten als Einzelintervention durchgeführt und findet am Beginn der Rehabilitation statt. Es werden 3-4 EFL-Tests durchgeführt, die sich auf die berufsspezifischen Belastungen des Patienten beziehen. Die Testauswahl wird aufgrund einer Arbeitsplatzbeschreibung durchgeführt. Bei bestehender Arbeitslosigkeit oder nach längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten werden solche EFL-Tests für die Belastungserprobung gewählt, die sich an der letzten beruflichen Tätigkeit orientieren und ein allgemeines Bild der aktuellen Belastungsfähigkeit geben. Das Ergebnis dieser Belastungserprobung bildet die Grundlage für die Planung des Arbeitsplatztrainings und ist eng mit der arbeitsmedizinischen Trainingstherapie verzahnt. Die Veränderung wird durch die Wiederholung der EFL-Testung am Ende der Rehabilitation gemessen.
Um kognitive und behaviorale Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der beruflichen Situation zu diagnostizieren, wird außerdem der Fragebogen „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster“ (AVEM) eingesetzt. Im vorliegenden Konzept der intensivierten medizinisch beruflichen Rehabilitation wird für jeden Teilnehmer der Maßnahme ein individuelles AVEM-Profil erstellt und im Rahmen der Patientenschulung „Fit für den Beruf“ (Heitzmann, Helfert & Schaarschmidt, 2008) besprochen. So stellt der AVEM im vorliegenden Konzept neben der berufsspezifischen Diagnostik eine Überleitung zum Modul der berufsspezifischen Psychoedukation her.
Arbeitsplatztraining
Das Arbeitsplatztraining soll durch gezielte Maßnahmen dazu beitragen, die körperliche Leistungs- und Funktionsfähigkeit im Beruf wieder herzustellen. Auf Grundlage der Ergebnisse aus der Belastungserprobung, aus der die individuellen körperlichen Funktionseinschränkungen bekannt sind, werden im Arbeitsplatztraining berufsspezifische Bewegungsabläufe durchgeführt und nach trainingswissenschaftlichen Gesichtspunkten gesteigert. Der Patient erhält die Möglichkeit, tätigkeitsnahe Bewegungsabläufe zu trainieren.
Das Arbeitsplatztraining wird in einer Kleingruppe von EFL-geschulten Physio- oder Ergotherapeuten durchgeführt. Für jeden Patienten wird ein individueller Trainingsplan mit Trainingszielen erstellt. Die Zielerreichung wird mindestens wöchentlich überprüft. Dies ist die Grundlage zur Anpassung des Plans ggf. mit neuer Zieldefinition. Das Arbeitsplatztraining setzt inhaltlich auf drei verschiedenen Ebenen an, um die berufliche Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Patienten positiv zu beeinflussen: Edukation (z. B. Demonstration der korrekten Bewegungsabläufe durch den Therapeut im Sinne von „Lernen am Modell“, Informationen zur Arbeitsplatzgestaltung), Training (z. B. Erlernen und Übung rückengerechter Bewegungsabläufe) und Einstellungsänderung (z. B. Selbstwirksamkeitsempfinden des Patienten stärken).
Am Beispiel eines Patienten, der am Fließband arbeitet, könnten auf der edukativen Ebene Informationen zur Bedeutung des Haltungswechsels (z. B. Wechsel zwischen sitzender und stehender Tätigkeit, Wechsel von Bewegungsabläufen/Arbeitspositionen innerhalb einer Fertigungsstraße) wichtig sein. Im Training wird der rückengerechte Bewegungsablauf konkret geübt. Im Bereich der Einstellungsänderung könnte gemeinsam mit dem Patienten überlegt werden, wie er Hilfsmittel (z. B. eine Fußbank), die in der Trainingsphase eingesetzt werden, am Arbeitsplatz etablieren könnte (z. B. Initiative zum Gespräch mit dem Vorgesetzten). Die Trainingseinheiten sind zudem eng mit den Interventionen der arbeitsmedizinischen Trainingstherapie verbunden, innerhalb derer die für die berufliche Anforderung relevanten Muskelgruppen unter Berücksichtigung der Arbeitsplatzsituation an Krafttrainingsgeräten trainiert werden (z. B. körperliche Ausgangsposition und Einstellung des Seilzugs werden so gewählt, dass der Bewegungsablauf am Arbeitsplatz simuliert wird).
Für Patienten mit lang andauernder Arbeitslosigkeit oder langen AU-Zeiten sind im vorliegenden Konzept zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation ergänzende Maßnahmen vorgesehen, falls absehbar ist, dass die klinikinterne Belastungserprobung nicht zu eindeutigen Ergebnissen hinsichtlich der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung führt. Dieses Modul der Intervention kommt demnach nur in wenigen Einzelfällen zum Einsatz. Zur Durchführung einer psychologischen Eignungsfeststellung und/oder externen Belastungserprobung besteht eine Kooperation mit dem Zentrum Beruf + Gesundheit in Bad Krozingen (ZBG).
![]() |
![]() |
Arbeitsplatztraining |
Reha- und Sozialberatung
Der Reha- und Sozialberater der Klinik ist für die Beratung der Patienten in Fragen der beruflichen Teilhabe, der Arbeitsplatzgestaltung und in versicherungsrechtlichen Fragen zuständig. Während der stationären Rehabilitation wird für den Patienten ein individuelles Nachsorgekonzept erarbeitet. Hierzu gehört ein individuelles Heimtrainingsprogramm und ggf. die Einleitung eines Funktionstrainings. Auch der Kontakt zu Selbsthilfegruppen wird im Einzelfall bereits während der stationären Maßnahme vermittelt bzw. hergestellt. Teil des Nachsorgekonzepts ist es zudem, den Patienten zur selbstständigen Informationssuche zu befähigen.
Die Planung einer Maßnahme zur beruflichen Wiedereingliederung gehört ebenso zur Nachsorgeplanung wie die Überleitung des Patienten in die Nachsorgeprogramme der Deutschen Rentenversicherung (z. B. IRENA, MERENA). Die Initiierung von Nachsorgeprogrammen orientiert sich an den Vorgaben der Deutschen Rentenversicherung.
Sozialmedizinisches Seminar
Das Konzept orientiert sich am „Modul 4: Sozialmedizin“ aus dem Projekt „Stationäre psychosomatische Rehabilitation bei chronischen Schmerzpatienten“ (Schultze, 2005), das an der Psychosomatischen Fachklinik Bad Dürkheim durchgeführt wurde.
Das sozialmedizinische Seminar wird durch einen Arzt durchgeführt. Die zwei Einheiten dauern jeweils 90 Minuten. Ziel des Seminars ist die Wissensvermittlung z. B. in Bezug auf sozialmedizinische Begriffe (Arbeits- und Leistungsfähigkeit, Mitwirkungspflicht etc.) oder die Zuweisungspraxis zur Rehabilitation. Interessenskonflikte, die zwischen verschiedenen Akteuren (z. B. Rehabilitand, Behandler, Rentenversicherung) entstehen können, werden diskutiert. Im Seminar kommen Fallvignetten, die von den Patienten bearbeitet werden, zum Einsatz.
Berufsbezogene psychoedukative Gruppe
Das AVEM-gestützte Patientenschulungsprogramm zur beruflichen Orientierung in der Rehabilitation „Fit für den Beruf“ wurde von Heitzmann et al. (2008) für den spezifischen Bedarf in der Rehabilitation konzipiert. Ziel des Programms ist die „Wiederherstellung oder Stabilisierung der Erwerbsfähigkeit des Rehabilitanden“.
Das Schulungsprogramm findet in fünf Sitzungen von jeweils 60 bis 90 Minuten statt. In jeder Sitzung wird mit multimodalen Methoden gearbeitet (z. B. Folien, Diskussionen, Kleingruppenarbeit). Im Fokus steht die Reflexion der eigenen berufsbezogenen Themen, die durch die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen und Einschätzungen der anderen Gruppenteilnehmer unterstützt wird. Auf der Grundlage des AVEM Profils (arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster) werden persönliche Ressourcen im Beruf, Motivation und Engagement, Kommunikation und Konfliktfähigkeit thematisiert. Die Ergebnisse der abschließenden Gruppensitzung mit dem Thema „Zielsetzungen“ dienen als Grundlage für das telefonische Case Management nach der Rehabilitation.
Bei Bedarf finden zusätzliche psychologische Einzelgespräche statt.
Case Management
Das Ziel des Case Managements ist eine strukturierte und bedarfsgerechte auf den einzelnen Fall zugeschnittene Hilfeleistung zur beruflichen (Re-)Integration, die schon während der stationären Maßnahme vorbereitet wird. Im RehaKlinikum Bad Säckingen führen die Mitarbeiter des Reha- und Sozialdienstes das Case Management durch, welches aus organisatorischen Gründen (große Wohnortferne der Patienten) im telefonischen Kontakt stattfindet. Der zuständige Reha- und Sozialberater ruft den Patienten zur vorher vereinbarten Zeit an (ggf. werden die Patienten telefonisch an den Termin erinnert). Die Telefonate sollen ca. sechs Wochen, fünf bzw. neun Monate nach Reha-Ende stattfinden.
Grundlage für das Case Management ist die schriftliche Dokumentation der individuellen beruflichen Ziele am Ende der stationären Reha-Maßnahme. Wichtig ist dabei die Differenzierung zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Zielen.
Während der Telefontermine werden folgende Punkte besprochen: Evaluation der kurz-/mittel-/langfristigen Ziele (abhängig vom Zeitpunkt des Gesprächs), Abklärung von Informations- und Unterstützungsbedarf, konkrete Planung von weiteren Schritten, ggf. Vereinbarung des nächsten Telefontermins.
Der Ablauf der Maßnahme ist in Abbildung 1 zusammenfassend dargestellt (Anklicken zum vergrößern).
Abbildung 1: Maßnahme „Intensivierte medizinisch berufliche Rehabilitation im RehaKlinikum Bad Säckingen
Zielgruppe
Die intensivierte medizinisch-berufliche Rehabilitation am RehaKlinikum Bad Säckingen richtet sich an Rehabilitanden, bei denen neben der chronischen Erkrankung, die den Rehabilitationsbedarf bestimmt, eine besondere berufliche Problemlage (BBPL) nach folgenden Kriterien vorliegt: Gravierende Auffälligkeit in den Bereichen „Funktionsfähigkeit im Beruf“ und „Beanspruchung am Arbeitsplatz“, „Psychisches Befinden“ (IRES) sowie Auffälligkeit im Würzburger Screening und/oder der SPE-Skala. Sie wird nicht durchgeführt bei fehlender Motivation auf Seiten des Patienten sowie bei bestehender Rente oder laufendem Rentenantragsverfahren.
Beteiligte Berufsgruppen und Ausstattung
Arzt*; Psychologe; Sozialarbeiter/Sozialpädagoge; Krankengymnast/Physiotherapeut*; Ergotherapeut; Sporttherapeut/-lehrer (*mit EFL-Ausbildung).
Personelle und strukturelle Ausstattung zur Durchführung von EFL-Testung und EFL-orientiertem Arbeitsplatztraining.
Literatur
- Bührlen, B., Gerdes, N. & Jäckel W.H. (2005). Entwicklung und psychometrische Testung eines Patientenfragebogens für die medizinische Rehabilitation (IRES-3). Rehabilitation, 44, 63-74.
- Heitzmann, B., Helfert, S. & Schaarschmidt, U. (2008). Fit für den Beruf – AVEM-gestütztes Patientenschulungsprogramm zur beruflichen Orientierung in der Rehabilitation. Verlag
- Löffler, S., Wolf, H.D., Gerlich, C. & Vogel, H. (2008). Benutzermanual für das Würzburger Screening. Universität Würzburg, Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie.
- Mittag, O., Meyer, T., Glaser-Möller, N., Matthis, C. & Raspe, H. (2006). Vorhersage der Erwerbstätigkeit in einer Bevölkerungsstichprobe von 4225 Versicherten der LVA über einen Prognosezeitraum von fünf Jahren mittels einer kurzen Skala (SPE-Skala). Gesundheitswesen, 68, 294-300.
- Schaarschmidt, U. & Fischer, A.W. (2001). Bewältigungsmuster im Beruf. Persönlichkeitsunterschiede in der Auseinandersetzung mit der Arbeitsbelastung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
- Schultze, H. (2005). Stationäre psychosomatische Rehabilitation bei chronischen Schmerzpatienten. Evaluation einer psychoedukativen sozialmedizinischen Gruppenintervention. Lengerich: Pabst Science Publishers.
- Streibelt, M., Blume, C., Thren, K. & Müller-Fahrnow, W. (2008). Ökonomische Evaluation einer medizinisch-beruflich orientierten Maßnahme bei Patienten mit muskuloskeletalen Erkrankungen – Eine Kosten-Nutzen-Analyse aus Rentenversicherungsperspektive. Rehabilitation, 47, 150-157.
Ansprechpartner
Ansprechpartner Volker Kull (Geschäftsführer)
RehaKlinikum Bad Säckingen GmbH
Bergseestr. 61
79713 Bad Säckingen
info@rkbs.de
http://www.rkbs.de