Berufliche Orientierung

in der medizinischen Rehabilitation

MBO®–Kompakt Neurologie

Klinik Bavaria, Kreischa, Freyung, Bad Kissingen

Klinikimpressionen Klinik Bavaria

Indikation

Neurologie

Ziele

  • Erhalt der beruflichen Leistungsfähigkeit
  • Erhalt des Arbeitsplatzes/Arbeitsverhältnisses
  • Konkretisierung bestehender oder zu erwartender Probleme am Arbeitsplatz
  • Vermittlung praxistauglicher Strategien zur Kompensation dieser Arbeitsplatzprobleme
  • Motivierung für die berufliche Reintegration und den Verbleib im Beruf
  • Abbau von Schonungs- und Vermeidungsverhalten im Beruf

Inhalte und Ablauf

Nach einer regulären dreiwöchigen neurologischen Rehabilitation folgt die einwöchige MBO®-Kompakt-Maßnahme. Die therapeutischen Interventionen werden in einer Gruppe von üblicherweise 6 bis 8 Teilnehmern durchgeführt. Die Maßnahme erstreckt sich über sieben Arbeitstage. Dabei werden ca. 33 berufsorientierte Therapiestunden angeboten. Das Programm umfasst die folgenden Inhalte:

  • motivierende Eingangs-MBO® Kompakt-Info-Veranstaltung
  • arbeitsmedizinische Aufnahme-Untersuchung
  • arbeitsmedizinische Arbeitsplatz-/Tätigkeitsbeschreibung, Kennzeichnung beruflicher Belastungen und Ressourcen, Ausweisung beruflicher Defizite
  • physiotherapeutische, sozialpädagogische, neuropsychologische berufsorientierte Aufnahme
  • selektive Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit mittels Bavaria Screening der funktionell-motorischen Leistungsfähigkeit (BSL)
  • MBO® Kompakt Aufnahme-Teambesprechung (Festlegung der Behandlungsschwerpunkte)
  • Ein- und Durchführung der berufsorientierten Medizinischen Trainingstherapie (MTT)/
- Muskelaufbautraining (MAT)
  • Ein- und Durchführung eines berufsspezifischen Funktionstrainings mit Elementen des Work Hardening
  • MBO® Kompakt Seminar (Arbeitsplatz-/Verhaltensergonomie-Einführung)
  • Ergonomietraining an Modellarbeitsplätzen (inklusive Arbeitsschutz, Schlafergonomie)
  • berufsbezogene Ausgleichs- und Funktionsgymnastik (BAF)
  • individualisiertes Arbeitsplatztraining an Modellarbeitsplätzen
  • psychosoziales berufsorientiertes Verhaltenstraining (berufsbezogene Stressbewältigung, Kurzentspannung, Motivationsförderung, soziales Kompetenztraining)
  • kognitives Training am PC (Brain Fit)
  • individuelle beruflich engpass-orientierte Einzeltherapie (klinisch psychologische Gespräche, Logopädie, Ergo-/Physiotherapie)
  • MBO® Kompakt Abschluss-Teambesprechung
  • Nachsorge/Reintegration über Fallmanagement

Das diagnostische und therapeutische Vorgehen der MBO® Kompakt-Maßnahme Neurologie wird nachfolgend an einem Fallbeispiel illustriert.

Rehabilitandin: Frau B. L., 35 Jahre alt

Diagnose: Multiple Sklerose, schubförmiger Verlauf, letzter Schub vor 2 Monaten; Z. n. Exzision eines malignen Melanoms am Rücken vor 6 Monaten

Aktuelle Einschränkungen: Kraftlosigkeit, Hyp- und Dysästhesien der rechten Körperhälfte mit Armbetonung, Fatigue-Syndrom mit Schlafstörungen

Arbeitsanamnese:

Arbeitsorganisation: Unregelmäßige Dreier-Wechselschicht mit Nachtschicht jede 3. Woche. Täglich 8 Stunden Montag bis Freitag, wöchentlich 40 Stunden mit bis zu 7 Überstunden. Ständiger Gruppenakkord. Arbeitsweg 8 km, überwiegend mit Bus, gelegentlich, sofern gesundheitlich möglich, mit Fahrrad.

Arbeitsinhalte/Tätigkeitsschwerpunkte: Hilfsarbeiterin in einem Betrieb mit 300 Mitarbeitern, der Sitzpolster und Kfz-Sitze herstellt. Arbeitet im Wechsel an verschiedenen Kaschiermaschinen mit einem Ofen, einem Kontrolltisch und einem Verpackungsplatz. Beklebt (kaschiert) Autositzteile aus Kunststoff mit Gewichten zwischen 13 und 16 kg mit Stoffbezügen. Hierzu wird das bereits angelieferte Kunststoffteil im Ofen eingelegt und erwärmt, anschließend manuell mit Kleber bestrichen und zur Kaschiermaschine getragen, in der sie zuvor die passende, meist schwere Stoffbahn mit 15-20 kg von Europalette (am Boden) angehoben und in 1,20 m Höhe eingelegt hat. Nach Schließen und Starten der Maschine begibt sie sich zwischenzeitlich zum Kontrolltisch, um ein bereits kaschiertes anderes Teil zu kontrollieren, schnell zum Verpackungsplatz zu tragen und in 10 cm Höhe auf Europalette abzulegen. Mittlerweile ist das vorher eingelegte Teil bereits maschinell kaschiert, muss entnommen und weiter bearbeitet werden. Pro Stunde sind 50 solcher Arbeitsgänge im Gruppenakkord zu bewältigen. Ist die Palette voll, zieht sie diese mit dem unmotorisierten Transportwagen über eine flache Rampe ins Lager.

Arbeitshaltungen: Ständiges Gehen/Stehen, zeitweise bis überwiegend vorgebeugt oder tief gebückt und zeitweise rechts rotiert, gelegentlich Hockhaltungen.

Arbeitsschwere: Zeitweise bis überwiegend körperlich mittelschweres Heben von Boden- bis Taillenhöhe und Tragen, zeitweise schweres Ziehen.

Zusätzliche Belastungen: Ständiger Zeitdruck durch Gruppenakkord. Bei Arbeitsunfähigkeit psychosoziale Belastung durch Vorwürfe und Streit mit der Gruppe und Vorgesetztem.

Selbsteinschätzung: Vom Lohn als alleinerziehende Mutter abhängig, müsse daher weiter arbeiten.

MBO-Diagnostik:

  • Arbeitsmedizinische, neuropsychologische, physiotherapeutische und sozialpädagogische Aufnahmeuntersuchung, Arbeitsplatz- und Tätigkeitsbeschreibung
  • Motorische (EFL-Screening) und neuropsychologische (kognitive) Testung
  • Expliziter Vergleich der Fähigkeiten mit den beruflichen Anforderungen und Definition der beruflichen Defizite
  • Festlegen der Behandlungsschwerpunkte

MBO-Therapie:

  • Ergonomie an verschiedenen relevanten industrietypischen Modellarbeitsplätzen, Schlafergonomie
  • berufsspezifische Ausgleichsgymnastik
  • berufsspezifisches Funktionstraining (Heben/Tragen, Schieben, Anheben/Ablegen in tiefer Position)
  • individuelles Arbeitsplatztraining (Montage, Transport, Verpackung. Ergonomische Verbesserungen bei Transport und Ablegen der Polsterteile)
  • berufsorientierte medizinische Trainingstherapie (allgemeine Kräftigung, speziell rechtes Schulter-Hand-Arm-System)
  • psychosoziales berufsorientiertes Verhaltenstraining (Entspannung, Stressbewältigung, soziale Kompetenz)
  • klinisch-psychologisches Gespräch (Krankheitsverarbeitung)
  • arbeits- und sozialrechtliche Beratung/berufliche Beratung/ LTA
  • individuelle Fallbetreuung

Abschlussteam: Andeutungsweise psychophysische Stabilisierung der MS-Patientin erreicht. Dennoch kontinuierliche Überforderung durch Arbeitsschwere, Wechsel- und Nachtschichtsystem, Überstunden sowie Gruppenakkord erkennbar. Arbeitet zu Lasten der Gesundheit.

Aktuelles Leistungsbild: Körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, zeitweise bis überwiegend im Gehen und Stehen bzw. ständig im Sitzen, auf durchschnittlichem kognitiven Niveau, in regelmäßiger Früh-, Normal- oder Spätschicht, 6 Stunden und mehr täglich. Kein überwiegendes mittelschweres Heben und Tragen, keine Wechsel- oder Nachtschichten, keine Akkordarbeit.

Empfehlungen: Entlassung noch arbeitsunfähig für bisherige Tätigkeit. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben indiziert. Innerbetriebliche Umsetzung in eine leistungsbildgerechte Tätigkeit (nach 15 Jahren Betriebsangehörigkeit) ist kurz- bis mittelfristig anzustreben. Hierfür Einsatz einer Fallbetreuerin beim Arbeitgeber.

Ergebnis: Die Rehabilitandin wurde innerbetrieblich umgesetzt in eine körperlich leichtere, sitzende Verpackungstätigkeit in der Versandabteilung des Betriebes, in der sie sich nach 1 Jahr relativ stabil und ausreichend leistungsfähig fühlte.

Der Ablauf der MBO® Kompakt-Maßnahme ist in den Abbildungen 1.1 und 1.2 dargestellt. (Anklicken zum vergrößern).

Ablauf MBO®–Kompakt Neurologie Abbildung 1.1: Ablauf „MBO® Kompakt Neuro“ in der Klinik Bavaria (Tag 1 und 2)

Ablauf MBO®–Kompakt Neurologie (Teil 2) Abbildung 1.2: Ablauf „MBO® Kompakt Neuro“ in der Klinik Bavaria (Tag 3 bis 7)

BSL-Testung Ergonomietraining
BSL-Testung Ergonomietraining

Zielgruppe

Die Maßnahme richtet sich an neurologische Rehabilitanden der DRV Nordbayern unabhängig vom Berufs- oder Beschwerdebild. Ein Arbeitsverhältnis soll bestehen. Ausreichende Motivierbarkeit für MBO® und berufliche Wiedereingliederung muss gegeben sein. Sie wird nicht durchgeführt bei Rehabilitanden, die bereits berentet sind oder einen Rentenantrag gestellt haben, ferner bei Erkrankungen, die die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit ausschließen sowie bei noch mangelnder körperlicher Belastbarkeit.

Beteiligte Berufsgruppen und Ausstattung

Neurologe, Arbeitsmediziner, Neuropsychologe, Sozialarbeiter/Sozialpädagoge, Krankengymnast/Physiotherapeut*, Ergotherapeut*, Sporttherapeut*, Fallmanager, Berufspädagoge
*(mit Zusatzqualifikation Ergonomietrainer)

Ausstattung:

Es liegen Modell-Arbeitsplätze vor in den Bereichen:

Holzbearbeitung/Schreinerei, Elektrotechnik, Montage, Fahrzeughaltung, Bau- und Baunebengewerbe, Garten- und Landschaftsbau, Wirtschaft/Handel, kaufmännischer/verwaltender Bereich, Ernährung/hauswirtschaftlicher Bereich, Sozial- Heil- und Pflegebereich.

EFL-Gerätschaften und Räumlichkeiten (zweifach):

  • viele Werkzeuge, Arbeitsgeräte, Arbeitsmaterial
  • räumliche Struktur ca. 800 qm
  • Gruppenraum für Gesprächsrunden
  • Videoausstattung für Videoanalyse

Literatur

  • Knörzer, J. & Presl, M. (2011). Ergebnisse einer MBO-Kompakt Patienten-Fragebogenaktion und -Telefonkatamnese. Interne Veröffentlichung. Klinik Bavaria.
  • Landau, K., Brauchler, R., Meschke, H., Weßert-Horn,. M., Kiesel, J., Knörzer, J. & Rascher, M. (2007). Arbeitsanalyse in der berufsorientierten Rehabilitation. In E. Schäfer, M. Buch, I. Pahls, J. Pfitzmann (Hrsg.). Arbeitsleben! Arbeitsanalyse-Arbeitsgestaltung-Kompetenzentwicklung. Kasseler Personalschriften, 6, (S. 59-81). Kassel University Press.
  • Lukasczik, M., Löffler, S., Schuler, M., Weilbach, F., Laterveer, H., Knörzer, J., Presl, M. & Neuderth, S. (2012). Intensivierte beruflich orientierte medizinische Rehabilitation bei neurologischen Erkrankungen: Formative Evaluation der MBO®Kompakt-Neurowoche. 21. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium, Hamburg, März 2012. DRV-Schriften, 98, 172-173.
  • Müller-Fahrnow, W., Knörzer, J., Muraitis, A., Möllmann, C., Streibelt, M. & Hansmeier, T. (2005). Ergebnisevaluation der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation von MSK-Patienten. 14. Rehabilitationswissenschaftliches Kolloquium, Hannover, März 2005. DRV-Schriften, 59, 262-263.

Ansprechpartner

Klinik Bavaria Bad Kissingen

Margarete Presl (Geschäftsleitung)
 presl.ma@klinik-bavaria.com

Dr. med. Franz Xaver Weilbach (Facharzt für Neurologie, Zusatzbezeichnung Neurologische Intensivmedizin)
weilbach.f@klinik-bavaria.com

Hans Laterveer (Leitung Therapie, Physiotherapeut, OMT, Ergonomietrainer, EFL User) 
 laterveer.h@klinik-bavaria.com

Von-der-Tann-Straße 18–22
97688 Bad Kissingen
http://www.klinik-bavaria.com

Klinik Bavaria Kreischa

Angelika Presl (Geschäftsleitung, EFL Instructor, MBO®Ergonomietrainer Instructor)
 angelika.presl@klinik-bavaria.de

Dr. med. Johannes Kiesel (Facharzt für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Umweltmedizin, Rehabilitationswesen, Zertifizierter Disability Manager (CDMP), EFL User, MBO®Ergonomietrainer)
 johannes.kiesel@klinik-bavaria.de Cornelia Hipler (Fachärztin für Neurologie, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen, EFL User)
 cornelia.hipler@klinik-bavaria.de

An der Wolfsschlucht 1-2
01731 Kreischa
http://www.klinik-bavaria.com