Berufliche Orientierung

in der medizinischen Rehabilitation

Arbeitsplatzbeschreibungen

(unter Mitarbeit von Dr. Marco Streibelt und Dr. Torsten Alles)

Die verschiedenen Herangehensweisen haben wir im Rahmen von zwei Expertenrunden mit Fachkundigen aus der Praxis und aus den Befragungsergebnissen der hier auf der Seite vertretenden Reha-Einrichtungen erarbeitet.

Was sind Arbeitsplatzbeschreibungen und wozu werden sie in Reha-Einrichtungen benötigt?

Berufsbezogene Maßnahmen müssen sich an den Anforderungen des aktuellen oder angestrebten Arbeitsplatzes des Rehabilitanden orientieren. Arbeitsplatzbeschreibungen (z.T. auch Tätigkeitsbeschreibungen oder -profile genannt) werden benötigt, um die Anforderungen des Arbeitsplatzes des Rehabilitanden transparent zu machen und damit auch Diskrepanzen zwischen den Arbeitsplatzanforderungen des Rehabilitanden und seinen vorhandenen Fähigkeiten zu identifizieren. Das Bestimmen dieser Diskrepanz zu den Fähigkeiten ist die Voraussetzung für eine effektive Therapieplanung (s. Umsetzungshilfen) in der Reha-Einrichtung und Grundlage für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung zum Ende der beruflich orientierten Reha-Maßnahme: Wird die Arbeitsfähigkeit gewahrt bzw. wieder erreicht oder ist der Rehabilitand weiterhin oder dauerhaft arbeitsunfähig? Es gibt unterschiedliche Informationsquellen für Arbeitsplatzbeschreibungen, die sich in der Qualität der Daten unterscheiden. Darüber hinaus ist auf den Einfluss diagnosespezifischer Besonderheiten in den Anforderungen am Arbeitsplatz (bspw. Anforderungen an Konzentration und Sprache nach bestimmten neurologischen Erkrankungen) zu achten. Davon zu trennen sind Berufsprofile, die allgemeine Angaben über verschiedene Tätigkeiten enthalten.

Wo sind Arbeitsplatzbeschreibungen verfügbar?

Um an Informationen zum Arbeitsplatz des Rehabilitanden zu gelangen, haben Sie verschiedene Möglichkeiten, die mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen bezüglich der Datenqualität einhergehen.

Quellen für Arbeitsplatzbeschreibungen sind:

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Instrumente anderer Institutionen zum Zweck der Arbeitsplatzbeschreibung zu nutzen.

Mündliche oder schriftliche Befragung des Rehabilitanden

Die Erhebung der benötigen Informationen über den Arbeitsplatz erfolgt im Regelfall direkt beim Rehabilitanden. In der täglichen Praxis wird der Rehabilitand zu Beginn der beruflich orientierten Reha-Maßnahme im Anamnesegespräch zu seinen beruflichen Anforderungen interviewt. Bei bestimmten Diagnosen (bspw. Neurologie oder Neuropsychologie) kann es aufgrund von Erinnerungslücken oder Fehleinschätzungen der Rehabilitanden hilfreich sein, auch Angehörige in die Anamnese einzubinden. Vorteil der Befragung des Patienten im Rahmen der Anamnese ist, dass die benötigen Angaben zu Beginn der Reha-Maßnahme vorliegen.

Solche strukturierten Interviews sind überwiegend auch Bestandteil der gängigen FCE-Verfahren. So wird etwa im Rahmen einer EFL-Testung – auch im EFL-Screeningtest – ein Interview geführt, in dem der Rehabilitand einen durchschnittlichen Arbeitstag schildern soll, so dass der Therapeut ein Verständnis von den konkreten Anforderungen in bestimmten, hier meist körperlichen Bereichen bekommt.

Meist werden die Interviews durch geschulte Ergo- bzw. Bewegungstherapeuten durchgeführt. In bestimmten Indikationen kann es sinnvoll sein, auch Sozialpädagogen oder Ärzte einzubinden.

Manche Reha-Einrichtungen verschicken vor Maßnahmenbeginn einen Fragebogen an die Rehabilitanden, der vom Rehabilitanden selbst oder zusammen mit dem Arbeitgeber ausgefüllt wird. Für Einrichtungen, die einen solchen Fragebogen oder Interviewleitfaden für das Anamnesegespräch entwickeln wollen, können entsprechende Formulare der Kostenträger als Orientierungshilfe nutzen. Allerdings können diese Formulare lediglich eine Ergänzung anderer Informationsquellen sein und die Grundlage für ein strukturiertes Interview bilden.

Möglicherweise sind Fotos und/oder Filme vom Arbeitsplatz verfügbar, die der Rehabilitand zur Reha mitbringen kann. Dafür ist das Einverständnis des Arbeitgebers erforderlich (s. auch Datenschutz). Werden Arbeitsplatzbeschreibungen vom Arbeitgeber und Bilder/Videos vom Arbeitsplatz zu Beginn der Reha mitgebracht, können diese eine wichtige Informationsquelle darstellen (s. auch Datenqualität).

Mündliche, schriftliche oder persönliche Befragung des Arbeitgebers des Rehabilitanden

Angaben zu konkreten Belastungen am Arbeitsplatz können gegebenenfalls auch vom Arbeitgeber und/oder Betriebsarzt angefordert werden. Gefährdungsbeurteilungen des Arbeitgebers, die eigentlich zum Zweck des betrieblichen Arbeitsschutzes erstellt werden, werden für den Zweck der Arbeitsplatzbeschreibung bislang kaum genutzt.

Liegen zu Reha-Beginn keinerlei Unterlagen über den Arbeitsplatz des Rehabilitanden vor, besteht auch die Möglichkeit, sich telefonisch mit dem Arbeitsgeber in Verbindung zu setzen. Das setzt das Einverständnis des Rehabilitanden zwingend voraus (Datenschutz). Bei wohnortnahen Reha-Maßnahmen bestehen möglicherweise bereits gute Kontakte zu regionalen Arbeitgebern und Betriebsärzten und/oder Kenntnisse der dortigen Arbeitsplätze. In Einzelfällen sind auch vor-Ort-Besichtigungen der konkreten Tätigkeit sinnvoll. Teilweise können solche engen Kooperationen auch dazu dienen, vergleichbare Arbeitsplatzbeschreibungen des jeweiligen Berufs zu erhalten, die dann im Gespräch mit dem Rehabilitanden spezifiziert werden.

Einige regionale Träger der DRV haben mit dem Deutschen Verband der Betriebs- und Werksärzte (DVBW) Verträge geschlossen. Danach erstellen die Betriebs- und Werksärzte den ärztlichen Befundbericht und das Arbeitsplatzprofil und führen ein Gespräch mit dem Beschäftigten unmittelbar nach Ende und auch sechs Monate nach der Reha-Maßnahme (vgl. Lang, 2011). Daher sollte bei Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber der zuständige Betriebsarzt erfragt werden.

Beispiele für Kooperationen der Rentenversicherungsträger mit Werks- und Betriebsärzten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Weniger geeignet sind als alleinige Informationsquelle die Informationen auf den Internetseiten der Arbeitgeber. Auch Recherchen bei anderen Arbeitgebern aus derselben Branche sind aufgrund der geringen Vergleichbarkeit eher nicht zu empfehlen (s. auch (Berufsprofile)).

Vordrucke der Kostenträger

Unterlagen der Kostenträger über berufsrelevante Anforderungen werden den Reha-Einrichtungen normalerweise nicht zur Verfügung gestellt. Die nachfolgenden Vordrucke in Tabelle 1 der Dachverbände der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der gesetzlichen Rentenversicherung (DRV) beinhalten Angaben zum Thema Arbeitsplatzbeschreibungen.

Tabelle 1: Vordruckliste Arbeitsplatzbeschreibungen Kostenträger
Träger Vordruck Kontext PDF
DRV Bund G110 Anlage zum Antrag auf Leistungen zur medizinische Rehabilitation (auszufüllen von Antragsteller)
K8050 Anlage zum Ärztlichen Befundbericht zum Antrag auf Leistungen zur Teilhabe oder zum Antrag auf Rente (Anamnese durch Betriebs- oder Haus-, Facharzt)
DRV Rheinland G9802 Werks-/Betriebsärztlicher Befundbericht zum Reha-Antrag (WeB-Reha)
DGUV F2164 ABMR-Aufnahmebericht (Anamnese durch Reha-Einrichtung)

Quelle: eigene Darstellung

Andere Institutionen

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) hat in der ab August 2014 in Kraft getretenen Gemeinsamen Empfehlung zum Reha-Prozess ein Muster für eine Tätigkeitbeschreibung zur Verfügung gestellt (Anlage 4 der BAR Publikation).

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) stellt mit dem BASA (Bewertung von Arbeitsbedingungen - Screening für Arbeitsplatzinhaber) ein Verfahren zur Analyse und Dokumentation von Belastungen am Arbeitsplatz unter Berücksichtigung vorhandener Ressourcen von Beschäftigten dar. Bei dem BASA II (F) handelt es sich um einen Fragebogen für den Beschäftigten, bei BASA II (B) um einen Anamnesefragebogen für den Experten. Mit beiden können Sie Tätigkeiten aus verschiedenen Arbeits- und Berufsbereichen (Büro- oder körperliche Tätigkeiten) in den Punkten

  • Ergonomie
  • Technik
  • Organisation

analysieren, Problembereiche erkennen sowie entsprechende Maßnahmen zur Optimierung dieser Problembereiche entwickeln. Des Weiteren steht ein Leitfaden zur Anleitung einer Gruppendiskussion zu diesem Thema zur Verfügung.

Link BASA II (B), (F): http://www.baua.de

Link BASA II Leitfaden: http://www.baua.de

Worauf ist bei Arbeitsplatzbeschreibungen zu achten?

Abgleich von Fähigkeiten und Anforderungen ermöglichen

Die Art und Weise, wie Arbeitsplatzinformationen dokumentiert werden, ist von entscheidender Bedeutung. Wichtig ist, dass die verwendete Dokumentationsform einen möglichst direkten Vergleich des diagnostizierten Leistungsbildes mit den Arbeitsplatzinformationen erlaubt. An diesem Punkt empfehlen sich Profilvergleichsverfahren (Link) in ganz besonderem Maße. Zum Beispiel erlaubt das Profilvergleichsverfahren IMBA einen Abgleich zwischen Fähigkeiten und Anforderungen bei allen Rehabilitanden unabhängig von Indikation oder beruflicher Tätigkeit.

Datenqualität

Die Datenqualität ist abhängig von:

Informationsquelle

Rehabilitand
  • überschätzt die Dauer und Schwere der Belastung am Arbeitsplatz häufig (beispielsweise Angaben zum Gewicht beim Heben von Patienten in der Altenpflege (vgl. Hesse et al., 2008, Lange, 2011) oder
  • vergisst einzelne Tätigkeiten zu benennen, wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits länger vorliegt.

Um die Erinnerung der Rehabilitanden an die Anforderungen zu verbessern, kann während der Anamnese, falls vorhanden, die Internetseite des Arbeitgebers als Hilfestellung für den Rehabilitanden eingebunden werden. Auch vergleichbare Arbeitsplätze bei kooperierenden Betrieben in der Umgebung können eine Hilfestellung sein. Die Befragung der Rehabilitanden hat den Vorteil, dass subjektive Belastungen erkannt werden, die für den Arbeitgeber ggf. einen ganz anderen Stellenwert haben. Dies kann eine nützliche Quelle bei der Therapieplanung sein.

Arbeitgeber

Die Angaben des Arbeitgebers, z. B. durch den betriebsärztlichen Dienst, über die tatsächlichen Belastungen am Arbeitsplatz des Rehabilitanden sind meist als reliabler anzusehen, wenn der fachlich bzw. personell Zuständige die Angaben zur Arbeitsplatzbeschreibung macht (bspw. direkter Vorgesetzter, der Aufgaben vergibt oder überwacht und nicht allgemeine Aussagen der Personalabteilung) (s. auch Qualifikation der Beteiligten, Link).

Ggf. kann beim Leistungsträger angefragt werden, ob Angaben über Arbeitsplatzbeschreibungen vorliegen.

Erhebungsinstrumente

Für die Erhebung der Bedingungen am Arbeitsplatz des Rehabilitanden existiert kein einheitliches Instrument. Grundlage können die Vordrucke der Kostenträger sein (s. Rehabilitand als Quelle, Kostenträger), wobei diese recht grob strukturiert sind. Die genannten Vordrucke unterscheiden sich nach

  • Verwendungszweck (Antragstellung, ärztlicher Befundbericht, Aufnahme- und Entlassungsbericht der Reha-Einrichtung),
  • Struktur (Detaillierungsgrad und Klassifikation beruflicher Anforderungen)
  • Art ihrer Erfassung (ärztliches Anamnesegespräch, eigens vom Rehabilitanden oder Hausarzt auszufüllende Angaben).

Zum Thema Arbeitsplatzbeschreibungen enthalten die Formulare der Kostenträger überwiegend Angaben über:

  • die Arbeitshaltung/Art der Tätigkeit
  • Arbeitsorganisation/regelmäßige Arbeitszeit
  • äußere Einflüsse,
  • berufliches Kraftfahren,
  • sonstiges (bspw. Anforderungen an Konzentration und Verantwortung).

Selten werden

  • Arbeitsabläufe,
  • Hilfsmittel am Arbeitsplatz (bspw. technische Hilfen),
  • die Stellung im Beruf

abgefragt, weshalb sich Kliniker in diesen Punkten häufig unzureichend informiert fühlen (Hesse et al. 2008). Auch psychosoziale Anforderungen werden bislang nur unzureichend abgebildet. Auf diese letztgenannten Aspekte sollten Sie daher in der Anamnese des Rehabilitanden oder der Befragung des Arbeitgebers explizit eingehen.

Qualifikation der Klinikmitarbeiter

Für die Anamnese ist neben der Qualität der Angaben der Rehabilitanden die Qualifikation des Befragenden entscheidend:

  • Welche Berufsgruppen führen die berufsbezogene Anamnese durch?
  • Verfügen diese Berufsgruppen über relevante Kenntnisse (bspw. in FCE-Verfahren, Berufskunde)?

Möglichkeiten zum Ausbau berufskundlicher Kompetenzen stellen

  • Hospitationen von Klinikmitarbeitern in Berufsförderungszentren oder Berufsförderungswerken sowie
  • entsprechende Fortbildungsveranstaltungen dar.

Daneben ist die Erhebung

  • aller für die erfolgreiche Wiedereingliederung relevanten beruflichen Einflussfaktoren durch ein strukturiertes Vorgehen mittels Interviewleitfäden(s. oben Erhebungsinstrument)
  • von diagnosespezifischen Besonderheiten in den Anforderungen

zu empfehlen.

Je nach Erkrankung sind unterschiedliche Defizite zu erwarten, die sich wiederum anders auf den Umgang mit Arbeitsplatzanforderungen auswirken. Halten Sie daher Rücksprache mit der jeweiligen ärztlichen Fachdisziplin. So ermöglicht beispielsweise der PAL-Fragebogen (Profilvergleich Arbeitsplatzanforderungen vs. aktuelles Leistungsvermögen) einen Abgleich zwischen Arbeitsplatzanforderungen und Leistungsvermögen von Rehabilitanden mit neurologischer und neuropsychologischer Diagnose u.a. in den Bereichen Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache, Zahlen, Exekutive Funktionen (Claros-Salinas et al. 2012, Download).

Datenschutz

Fotos oder Videos vom Arbeitsplatz

Werden im Einladungsschreiben die Rehabilitanden gebeten, z.B. Fotos oder Videos vom Arbeitsplatz mitzubringen, ist darauf hinzuweisen, dass der Arbeitgeber dazu sein Einverständnis erklären muss.

Weitergabe des Entlassungsberichtes durch die Klinik

Für eine Kontaktaufnahme der Reha-Klinik mit dem Arbeitgeber oder dem Betriebsarzt ist das Einverständnis des betroffenen Rehabilitanden erforderlich. Auch die Weitergabe des Entlassungsberichtes durch die Klinik an den Betriebsarzt muss vom Versicherten erlaubt werden. Der Rehabilitand kann sein Einverständnis verweigern.

Des Weiteren ist gegenüber dem Arbeitgeber und Dritten sensibel mit den Sozialdaten des Rehabilitanden umzugehen.

Was sind Berufsprofile?

Im Unterschied zu Arbeitsplatzbeschreibungen enthalten Berufsprofile

  • allgemeine Informationen zu Aufgaben
  • Informationen zu erforderlichen Kompetenzen
  • Informationen zu Arbeitsbedingungen eines bestimmten Berufsbilds.

Im Internet sind Berufsprofile bspw. zu finden unter Berufenet.de. Kompetente Ansprechpartner für neue Berufsbilder finden Sie auch bei den regionalen Berufsförderungswerken und Berufsförderzentren.

Berufsprofile können als Hinweise für mögliche Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben hilfreich sein, v.a. für die folgenden Gruppen:

  • Bei Rehabilitanden, bei denen die Arbeitsfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit oder dem Beruf nicht mehr eintritt, können Berufsprofile Anhaltspunkte für Maßnahmen beruflicher Anpassung und Weiterbildung sowie betrieblicher Qualifizierung darstellen.
  • Wenn Schüler oder Auszubildende aus gesundheitlichen Gründen einen leidensgerechten Ausbildungsberuf erst noch erlernen bzw. in einen wechseln müssen, können Berufsprofile der beruflichen Orientierung (beruflicher Ausbildung) dienen.

Berufsprofile können auch hilfreich sein

  • für die Gestaltung klinikinterner Übungsarbeitsplätze für die Rehabilitanden,
  • als Grundlage für ein strukturiertes Interview mit dem Rehabilitanden zu seinen individuellen Anforderungen am Arbeitsplatz sowie
  • als Basis für eine näherungsweise Diagnostik bei Rehabilitanden ohne Arbeitsplatz (z.B. bei Arbeitslosigkeit).